Mittwoch

Indien pflanzt den Funken der Liebe in dich




Ich war wieder in Indien. Nach meinen berührenden Erfahrungen im vergangenen Jahr musste ich unbedingt dorthin zurück. Indien ist nicht nur ein Urlaub, Indien ist auch jedes Mal eine innere Reise. 





Das Geheimnis von Indien



Ich würde mich am liebsten sofort nach Hause beamen. Jetzt, sofort. Autos rasen hupend an mir vorbei, vor einer Motorrad-Rikscha, die auf der falschen Straßenseite daherkommt und direkt auf mich zuhält, kann ich mich nur durch einen Sprung zur Seite retten. Von dem Schreck kann
Nachtmarkt in Mysore
ich mich jedoch gar nicht erholen, denn ich werde weitergeschubst von den vielen Menschen, die hinter mir in die gleiche Richtung drängen. Ich kann kaum atmen: Es ist stickig heiß, schwül, Abgase liegen in der Luft. Ein Film aus Schweiß und Dreck überzieht meine Haut. Mir schwirrt der Kopf von dem Geräuschpegel hier auf der Straße in Mysore, von den vielen Menschen rund um mich herum, dem Dreck. Ich kann gerade noch einer Kuh ausweichen, die seelenruhig am Straßenrand in einem
Auf den Straßen von Mysore.
Haufen aus Müll, Plastik und Folien liegt und auf irgendetwas herumkaut. Sie hat die Ruhe weg hier mitten im Chaos. Es ist, als würde das dürre und schmutzige Tier mit einem sich gekehrtem Blick meditieren, den Lärm und

Dreck rund um sich völlig ausblenden, durchdrungen vom indischen Spirit, den viele, vor allem Yoga-Fans, hier suchen.
Ich flüchte aus der Stadt, auf der Suche nach Stille und sauberer Luft, weg von den vielen Menschen, dem Hupen der Autos und Rikschas, weg von dem Müll. Ich fahre in die Berge, in die Teeplantagen von Munnar. Man kennt die traumhaften Bilder der sattgrünen Felder, die sich an die Hügel schmiegen. So sieht es hier jedoch nur noch von bestimmten ausgewiesenen Foto-Points aus, zu denen die Touristen in Massen mit Bussen gekarrt werden. Alle paar Meter schießt ein neues Hotel aus dem Boden, Baustellen wohin man schaut. Werbetafeln locken Spaßtouristen in Erlebnisparks, wo Elefanten den ganzen Tag im Kreis gehen, damit Touristen auf ihnen reiten können – das alles für ein Selfie. Quer durch die Teeplantagen werden riesige Gräben gezogen für neue Straßen, die noch mehr Menschen hierher bringen sollen. Selbst in der Nacht verstummt auch hier das stete Hupen nicht.
Die Teeplantagen von Munnar.

Ich werde auf meiner Reise noch weitere Enttäuschungen erleben: Bei einem Tempelbesuch in Fort Cochin komme ich nur bis zum Zaun. Ein Schild macht klar:

Hier sind westliche Touristen und Zuschauer nicht erwünscht – Entry for Hindus only, Eintritt nur für Hindus. Am Strand von Varkala macht mir ein so gut wie nackter Mann ein sehr eindeutig zweideutiges Angebot, als mich mein Freund nur für zwei Minuten allein lässt. Natürlich schießen mir sofort die Meldungen von Massenvergewaltigungen durch den Kopf, die lange durch die Medien gegangen sind. Als der Mann trotz meiner Aufforderung nicht gehen will, laufe ich von der einsamen Ecke an den Klippen zum belebten Strand zurück – alles gut.

Das ist genau das Bild, das viele von Indien haben, Negativschlagzeilen haben ihren Teil dazu beigetragen. Indien ist voller Müllberge, man sieht teils mehr Smog als Sonne. Indien ist laut, der Verkehr chaotisch, überall Massen von Menschen. Die enorme Spanne zwischen Arm und Reich zwingt viele in Blechhütten und schmutzige Kinder ohne Schuhe zum Betteln. Kinderarbeit, Vergewaltigungen und und und. Ja, das alles ist ein Teil von Indien, mit 1,3 Milliarden Einwohnern nach China das zweitbevölkerungsreichste Land der Erde.


Das Mekka der Spirituellen
Tempelsee in Varkala
Doch das alles schreckt viele nicht ab, hierher zu reisen. Es ist fast so, als müsste jeder, der sich intensiv mit Yoga oder einer anderen Art der tiefen Selbsterfahrung beschäftigt, mindestens einmal hier gewesen sein. Indien, das Mekka der Spirituellen. Doch was zieht sie
alle hierher? Was ist das magische Geheimnis dieses riesigen Landes? Irgendetwas liegt hier in der Luft, das einen von einem Moment auf den anderen packt und tief in sich aufsaugen lässt. Eine kaum zu beschreibende Grundschwingung, die unter all dem Dreck, Lärm
Backwaters in Aleppey
und Chaos liegt, und alles durchdringt, die niemanden unberührt lässt. Weshalb jeder Indien als etwas anderer Mensch verlässt, wie er dort angekommen ist.

Plötzlich lässt man den Rikscha-Fahrer mitten auf einer viel befahrenen Straße anhalten, weil man einen faszinierenden, riesigen alten Baum entdeckt hat. Während ich davor stehe, wird es in mir plötzlich ganz ruhig – obwohl rund um mich immer noch das Chaos tobt. Doch für mich gibt es gerade nur noch mich, diesen Baum, der aus Dutzenden herunterhängenden Wurzeln besteht, seine Botschaft und diese tiefe innere Stille. Nach nicht einmal einer Minute katapultiert es mich zurück auf die Straße, auf der ich gerade stehe. Das Außen hat mich
Strand von Varkala
wieder. Ähnliches spürt man, wenn man in die Gesichter der Inder blickt. So viele Menschen lächeln mich an, wollen sich mit mir unterhalten, einfach so, ohne irgendetwas verkaufen oder sonstwas von mir zu wol-len – egal ob Jugendliche oder alte Frauen, die ihre Einkäufe  auf dem Kopf nach Hause tragen. Ein Mönch winkt mich in einem Tempel zu sich, wickelt mir ein rot-orangenes  Band um das rechte Handgelenk. Während er irgendetwas  murmelt, berührt er die Stelle zwischen meinen  Augenbrauen, mein drittes Auge, mit seinem wulstigen Fingern und schickt mich mit einem Lächeln weiter.

Tief berührt und verbunden
Baumriese in Fort Cochin
Jede Begegnung hinterlässt etwas in mir. Jeder dieser Menschen haucht mir damit ein kleines Stück von Indiens Geheimnis in meine Seele. Indien berührt. Indien lässt mich die Verbindung zu allen Menschen, zur ganzen Schöpfung, zum Universum, dem großen Ganzen wieder spüren. Das ist es, was mir sowohl der Baumriese als auch die widerkäuende Kuh am Straßenrand oder die mich lächelnden Menschen ohne Worte zuflüstern. Das ist es auch, was einen den Dreck und Stress im Außen leichter hinnehmen oder sogar wieder halb vergessen lässt. Es gibt nur kaltes Wasser zum Duschen? Egal, ist nicht so schlimm. Durch das Badezimmer der Pension läuft eine Kakerlake? Egal. Das Hotelzimmer muss man selbst reinigen? Gehört dazu, vollkommen egal. Der bestellte Taxifahrer hat einen einfach vergessen abzuholen? Egal. 

Strand in Aleppey
Dinge, die in unserer materiellen, westlichen Welt so eine große Bedeutung haben, treten angesichts der tiefen Berührtheit total in den Hintergrund. Denn man spürt, worum es im Leben wirklich geht: um die Verbindung. Wir sind alle eins. Jetzt weiß ich, was es bedeutet, Mensch zu sein. Ich spüre, wo das Leben tatsächlich stattfindet: in mir, und zwar nur in mir. Das ist es, was Indien-Reisende mit diesem ganz bestimmten seligen Lächeln zurückkehren lässt. Es trägt einen noch eine gewisse Zeit lang durch den Alltag, doch es dauert nicht lange und es verblasst wieder mehr und mehr, wie die Erinnerung an einen wunderschönen Traum.

Der Funke der Liebe
Meditation on the rocks am Little Cola Beach in Süd-Goa.
Indien ist mit dieser speziellen Schwingung so stark aufgeladen, dass man sie nicht nur spürt, wenn man bei Sonnenuntergang meditierend auf Felsen einer einsamen Bucht in Süd-Goa sitzt oder eine Energieheilungs-Session mit einem alten Yogi, der
 Er lehrt im Winter in Goa, im Sommer in Rishikesh.
natürlich einen langen graumelierten Rauschebart hat, gebucht hat. Sondern man spürt sie mit jedem Tag, den man länger in diesem Land verbringt, mehr. Als würde man davon durchdrungen, als würde man sie mit der versmogten Luft einatmen. Warum das so ist? Was diese Magie ausmacht und woher sie kommt? Das bleibt das Geheimnis von Indien. Doch wer es einmal gespürt hat, trägt diesen Samen, diesen Funken der Liebe, für immer in sich. 

Ich bin mir sicher: Ich komme wieder zurück - um mich aufzuladen mit dieser ganz besonderen Kraft!

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