Namaste! Ich gebe es zu, ich bin ein Feigling, Heimscheißer und hasse Veränderungen. Zumindest ein Teil von mir. Der andere sehnt sich in ferne Länder, liebt neue Herausforderungen und rennt auch einfach mal ins Unbekannte los - ohne Fangnetz und doppelten Boden. Diese Gegensätze wachsen sich gerne zu brutalen, inneren Kämpfen aus.
In diesen Situationen ist besonders geraten, Abstand zu den Kampfhähnen zu bekommen. Sei Beobachter und lerne unglaublich viel über dich selbst!
Mein unfreiwilliger Viertelmarathon
"Angst heißt, etwas an der Zukunft auszusetzen zu haben. Wenn wir uns nur vor Augen hielten, wie ungewiss unsere Zukunft ist, würden wir nie versucher vorherzusagen, was alles schief gehen könnte. Und damit hört die Angst auf. Als kleiner Junge quälte mich furchtbare Angst vor dem Zahnarzt. Irgendwann musste ich wider Willen einen solchen Termin wahrnehmen. Doch als ich in der Praxis eintraf, erfuhr ich, dass der Termin auf einen anderen Tag verlegt worden war, und da begriff ich zum ersten Mal, welch eine Zeitverschwendung die Angst doch ist. Sie löst sich in der Ungewissheit der Zukunft auf. Wenn wir diese Weisheit aber nicht beherzigen, kann die Angst uns auflösen." An diese Wort von Ajahn Brahm aus "Die Kuh, die weinte", musste ich kürzlich wieder einmal denken.
Denk daran: Nichts ist statisch, alles verändert sich
Ich stehe gerade vor einer völligen Neustrukturierung meines Lebens, vor allem meines beruflichen Lebens. Eine gute Freundin sagte vor einiger Zeit zu mir: "Ist doch toll, du kannst jetzt quasi alles machen. Ab so einem Nullpunkt hast du alle Möglichkeiten dieser Welt." Ja genau, und das macht mir Angst. Das ist so eine große Herausforderung für mich, neue Wege zu gehen. Welcher ist der richtige für mich? Werde ich damit Erfolg haben? Verdiene ich genug? Was ist, wenn ich mich irre? Das Problem ist, ich habe das Gefühl, ich treffe eine Entscheidung fürs Leben. Doch so ist es nicht: Es gibt keine Situation, aus der man nicht wieder heraus könnte. Nichts ist statisch. Alles wird sich weiter verändern. Punkt Eins.Angsthase vs. Abenteurerin oder Vernunft vs. Intuition
Punkt Zwei erfuhr ich kürzlich bei einer Joggingrunde. Es ist so, dass ich mich nicht nur schwer tue, große Veränderungen zu mögen geschweige denn herbeizuführen. Ich war bis vor wenigen Monaten sogar so ein- und regelrecht festgefahren, dass ich nicht mal kleinste Änderungen im Tagesablauf zulassen konnte. Also lernte ich: Es kann total befreiend sein, wenn ich morgens nicht zwingend zuerst dusche und dann frühstücke. Wenn ich schon Hunger habe, gibt es jetzt mein Porridge vor der Dusche - das entscheide ich jeden Morgen neu nach Lust und Laune.Meine Lauftrainingsrunde ist seit Jahren auch die gleiche: Zwei Mal um den Rannasee. Vor einiger Zeit war es schon eine Veränderung, einmal anders herum zu laufen wie sonst - fühlte sich erst befremdlich an, dann blieb ich dabei. Am Sonntag übernahm ganz plötzlich die Abenteurerin in mir: Mich interessierte seit langem, was genau hinter dem 2-Seen-Weg steckt. Also bog ich todesmutig einfach nach rechts ab, statt links weiter meiner gewohnten Runde zu folgen. Diese Entscheidung kam ganz tief aus mir. Der Verstand war an diesem Tag kein Schnellspanner und begann erst nach einigen Metern, seine Zweifel loszufeuern: Du weißt doch gar nicht, wie lang die Runde ist. Du hast nicht einmal ein Handy dabei, falls du dich verläufst. Blablabla. Nichts war mehr mit meiner Jogging-Meditation. Mein Geist war völlig abgelenkt. Wie Engelchen und Teufelchen auf meinen Schultern lieferten sich der Zauderer/Angsthase/Vernunft und die Abenteurerin/Intuitive/Herz ihre Gefechte - und ich konnte ihnen nur noch kopfschüttelnd zusehen.
Im Laufe des Weges durchlief ich noch viele Phasen. Mal übernahm die Intuitive, die ganz hin und weg von ihrer Entdeckung und der Schönheit des Rannatals war. Mal war der Angsthase am Werk: Wenn ich umknicke und nicht mehr weiterlaufen kann, findet mich hier doch kein Mensch. Drei Mal dürft ihr raten, wer hinter: Du blöde Kuh, das haste jetzt davon, dieser Weg ist doch viel zu weit. Am Ende war ich tatsächlich elf Kilometer und damit mehr als doppelt so lang als sonst unterwegs.
Svadhyaya: Erforsche dich selbst!
Und da die Jogging-Meditation nicht mehr klappte, weil mein Geist völlig davongaloppierte und nicht mehr einzufangen war, übte ich mich in Svadhyaya, dem Selbststudium. Ich beobachtete mein Denken, Fühlen und Handeln, reflektiert und kritisch - verurteilte mich nicht, aber mit dem Abstand eines äußeren Betrachters fällt die Einordnung oft objektiver aus. Dabei kam mir alles unter: meine Gedankenmuster, meine Abneigungen, falsche Identifikationen, meine Schwächen und Stärken.Svadhyaya ist eines der fünf Niyamas in Patanjalis Yogasutra, es kommt im Kapital 2.32 vor. Unter Niyamas versteht man die Art Verhaltensregeln, wie wir mit uns selbst umgehen soll. Diese sind: Reinheit, Zufriedenheit, Selbstdisziplin, Selbstreflexion und Hingabe. Über letztere, Ishvara pranidhana habe ich schon letztens geschrieben. Die Hingabe, die Selbstreflexion und die Selbstdisziplin, Tapas, fasst Patanjali auch unter Kriya Yoga zusammen, es sind für ihn Disziplinen, um die Kleshas zu reduzieren, also frei von den Ablenkungen des Geistes zu werden und uns selbst direkter und bewusster zu erfahren. Auch eine Art Meditation, übrigens, die Versenkung. Super, dann habe ich auf meiner Wahnsinns-Joggingrunde, doch meditiert.
Am Ende des Viertelmarathons schüttete mein Körper nicht nur unglaubliche Mengen an Glückshormonen aus, sondern ich hatte auch einige neue Erkenntnisse über mich gemacht, hatte viel über mich selbst gelernt. Morgen gehe ich wieder joggen - auf meiner neuen Lieblingsrunde.
Übung
Um sich selbst zu studieren, muss man nicht in diese Extreme gehen, es reicht, wenn man versucht, im Alltag behutsamer und achtsamer mit sich umzugehen. Ja ich weiß, dass ist leichter gesagt als getan.
Versuche es, wenn du das nächste Mal einen großen Widerstand in dir fühlst. Ganz egal, wogegen. Gegen einen Menschen, eine Arbeit, eine Veränderung. Dann lehne dich zurück und lege dich selbst auf die Couch. Was ist das Problem? Welche Gefühle habe ich? Sei ganz ehrlich mit dir selbst und auch behutsam.
Und einen zweiter Tipp, den ich derzeit auch am eigenen Leib erfahre und die Kollegin von Fuckluckygohappy so schön beschrieben hat:
Male dir die Zukunft aus, als wären alle anstehenden Veränderungen schon längst geschehen. Bis ins kleinste Detail. Ist da noch Angst? Nein, Begeisterung.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen