Sonntag

Funktionierst du noch oder lebst du schon?


Namaste! Wer bin ich eigentlich, wer soll ich sein und wie sehen mich andere, wie sollen sie mich sehen? Was will ich, was glaube ich zu wollen und was soll ich wollen? Was ist mir wichtig im Leben, was wollen andere, dass mir wichtig ist? Es ist wohl schnell klar, dass diese Fragen von den meisten nicht spontan beantwortet werden können. Ich gehörte lange Zeit zu denjenigen, die darauf teils gar keine Antwort wussten, zumindest auf die mit dem Verb "Wollen".

In den vergangenen Monaten habe ich viel Swadhyaya betrieben, ihr habt auf Let there be OM auch schon von diesem Sanskrit-Begriff für Selbststudium gehört. Es gehört zu den Niyamas, den yogischen Verhaltensregeln im Umgang mit sich selbst.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse war für mich: Ich will leben, nicht länger funktionieren! Was der Unterschied ist?







Auf Autopilot durchs Leben

Du musst dich bei deinen Eltern doch mal wieder melden, das gehört sich so! Für dieses abgefahrene Kleid, das dir so gut gefällt, bist du doch eigentlich schon zu alt! Solltest du nicht längst ans Kinderkriegen denken? Statt eines Vier-Wochen-Indien-Trips muss es doch ein paar Tage Gardasee auch tun - schließlich kannst du dir doch nicht so lange Urlaub nehmen, die armen Kollegen.

Ich hatte für mein Leben eigentlich keinen wirklichen Plan. Auf die Frage "Wo siehst du dich in den nächsten fünf Jahren" konnte ich nur mit Schulterzucken antworten. Selbstverwirklichung scheiterte allein daran, dass ich gar nicht wusste, was ich da überhaupt verwirklichen soll. Was anstand, wurde erledigt, so einfach. Der Verlust des Bezugs zu mir selbst ging so weit, dass ich oft im Restaurant nicht einmal wusste, was ich essen möchte; ach, ich nehme Fisch, hatte ich schon länger nicht mehr und ist gesund, die Vernunft übernahm die Entscheidung, was ich essen sollte. So schoss ich wie auf Autopilot und 200 km/h am Tempomat eingestellt durchs Leben.

Yoga: Schulung der Selbstwahrnehmung
Im Yoga geht es ganz stark um Selbstwahrnehmung. Kontakt zum Atem, beobachte, lenke Energie im Körper usw. Damit brach langsam, aber sich etwas in mir auf  - was sich aber zuerst in ein von mir nicht deutlich artikulierbares Unbehagen äußerte. Ich spürte, dass ich gelenkt und getrieben bin, wusste aber einfach nicht, wie ich es anders machen sollte. Als ich mich dann mit Beginn meiner Yogalehrer-Ausbildung vor zwei Jahren noch intensiver damit zu beschäftigen begann, war es nicht mehr weit zu dem Punkt, als es mich aufrieb zwischen der Schulung der Selbstachtsamkeit und der völligen Ausblendung derselben im Alltag. Spirituelle Krise nennt man das - für mich der Wendepunkt. 

Megafon für die innere Stimme
Dank den Büchern von Dr. med. Mirriam Prieß (z. B. Burnout kommt nicht nur von Stress) wurde mir erst einmal so richtig klar, dass ich eigentlich nicht der Herr bzw. die Herrin über mein Leben war. Ich funktionierte, biss mich in jede Aufgabe, die mir übertragen wurde, arrangierte mich mit jeder noch so unangenehmen Situation, erledigte meine To-Do-Listen, erfüllte, rannte, raste - und erschuf mir so eine Vorstellung von meinem Leben, die mit meiner wahren Identität nicht viel zu tun hatte. Das alles wusste ich natürlich die vergangenen Jahre nicht. Wie auch? Die Identität musste ich erst wieder finden. Nach Monaten intensiven Selbststudiums habe ich zumindest eine Ahnung von ihr bekommen. Meine innere Stimme konnte ich soweit ausgraben, dass ich sie jetzt höre - für die nächste Zeit besorge ich ihr noch ein Megafon, damit ich sie auch bei meiner Rückkehr in die Arbeitswelt nicht überhören kann.

Die Gründe liegen immer in dir
Habt ihr das Gefühl, in ein Hamsterrad gezwängt zu sein und nur noch zu laufen, laufen, laufen? Müsst ihr eure tiefsten Wünsche immer zurückstellen? Richtet ihr euch dauernd danach, was andere von euch wollen oder von euch denken könnten? Fühlt ihr euch überfordert oder gar einem drohenden Burnout nahe? Dann sucht mal nicht die Gründe dafür im Außen wie stressiger Job, anstrengende Kinder usw., sondern hört viel eher in euch hinein. Denn nur hier findet ihr den Grund für die Überforderung oder Unzufriedenheit. 

"Burnout ist mehr als eine bloße Überforderung; es ist weit mehr als der Ausdruck eines überlasteten Menschen, der sich aufgrund eines schlechten Zeitmanagements zunehmend in seinem Leben erschöpft hat. Burnout ist eine Aufforderung. Es ist ein gesunder, notwendiger Regulierungsmechanismus eines Menschen, der die Beziehung zu sich und seiner Umwelt verloren hat und in seinem Leben fehlt. Es ist der Ruf nach einer Heimat, der Ruf nach eines wesensgemäßen Leben und nach Identität. Solange dies nicht gesehen wird, solange nach irgendwelchen Tools gesucht wird, um sein nicht wesensgemäßen Leben  besser in den Griff zu bekommen, so lange wird die Erkrankungsrate weiter steigen. Erst wenn erkannt wird, dass es kein gesundes Leben im falschen geben kann und die Konsequenzen aus dieser Erkenntnis gezogen werden, besteht die Chance auf echte Veränderung und langfristige Gesundheit." (M. Priess) 

Also stellt euch ganz ehrlich die Frage: Lebe ich das Leben, das ich möchte?

4 Kommentare:

  1. Gerade Deinen Blog bei Facebook entdeckt und festgelesen. Wunderbar geschrieben. Ich komme jetzt sicher öfter. Ich liebe es etwas jenseits von Mode, Kosmetik, Kindern und Kochen zum schmökern zu entdecken.

    Liebe Grüße
    Susanne

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  2. Hallo Susanne, willkommen auf Let there be OM ☺ Danke für deinen lieben Kommentar! Lg

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  3. Oh, ich funktioniere noch - und ich weiss schon länger, dass ich nicht das Leben lebe, was ich gerne leben möchte!
    Während ich diese Zeilen schreibe stelle ich fest, dass ich diese Worte noch nie ausgesprochen habe und mir auch noch nicht selbst eingestanden habe.
    Und das könnte jetzt der Beginn einer kritischen Selbstreflexion sein?
    34 Jahre lebe ich mit Yoga, ich habe viele wertvolle Erkenntnisse für mein Leben gewonnen. Habe meinen stressigen EDV-Beruf aufgegeben, ziemlich schnell erkannt, dass mein begonnener YogaWeg mit einer Ausbildung zur Yogalehrerin mein Leben in eine beglückende Richtung lenkt. In diesem Sommer blicke ich auf eine 30-jährige UnterrichtsZeit zurück. Glückliche Jahre, noch immer unterrichte ich in 7 Gruppen, viele Teilnehmerinnen sind in den Jahren zu lieben Freundinnen geworden, meine Kinder sind erwachsen, haben mir 3 wunderbare EnkelKinder geschenkt, die ich sehr liebe und mich ihnen gerne widme, leider bereits schon in schwierigen Schwangerschaften, und dann erwarten meine alten, kranken Eltern meine volle Unterstützung.
    Ist es dann nicht nachvollziehbar, dass ich davon träume, mal eine längere Zeit nur für mich da zu sein? Mein Mann unterstützt mich zwar, ihm gelingt es aber viel besser sich Auszeiten zu genehmigen.
    Ich danke für die Möglichkeit meine Gedanken und Wünsche hier einmal niederzuschreiben. Ich habe heute abend im Deutschen Yoga-Forum von dem Blog gelesen und lese mit Interesse die Eintragungen.
    In Verbundenheit Yogacat Tina

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  4. Namaste Tina, danke für deine offenen Worte! Es braucht Mut, sich das einzugestehen! Sei stolz auf dich! Es braucht noch mehr Mut, seine wahre Identität zu erkennen und dann auch nach ihr zu leben. Da stecke ich auch noch fest😅 doch lass uns erst einmal unsere Erkenntnis feiern!

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